Willy-Anker-Biografie - Lesung zum Literaturfest
von Reinhard Heinrich
(Text & Fotos)
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Wer zum diesjährigen Literaturfest Meissen die Lesung aus Willy Ankers Biografie hören wollte, musste sich gemäss Programm erst einmal gegen 21 andere gleichzeitig stattfindende - spannende oder anrührende - Veranstaltungen teils recht prominenter Vorleser entscheiden.
Am frühen Sonntagnachmittag lasen andernorts in Meissen Geert Mackenroth, Heinz Eggert und Thomas Bärsch - um nur drei der Bekannteren zu nennen. Gleich 2 sächsische Staatsminister a.D. - hätte man hören können. Egal, der Ruf in das kleine Haus mit dem weinbelaubten Giebel war stärker - zumindest für rund 30 Teilnehmer, darunter Stadträte und Vertreter von SPD und LINKE.
Eingeleitet von persönlichen Erinnerungen der Enkelin Willy Ankers, Frau Dr. Monika Rösler, stellte Stadtchronist Gerhard Steinecke einen Ausschnitt aus seiner Willy-Anker-Biografie „Links geradeaus auf verwundenen Wegen“ vor. Bei seinen Forschungen stiess er auch auf eine erschreckende Gleichgültigkeit der DDR-Staatsmacht und ihrer führenden Partei gegenüber ihren eigenen Antifaschisten und Aktivisten der ersten Stunde. Damals noch lebende Zeitzeugen wurden behandelt, als würden sie ewig leben und der Umgang mit Sachzeugen war kaum besser. Präzise Geschichtsschreibung trat oft hinter ihre jeweils "gemäss Beschlüssen aktuelle" Interpretation zurück - oder wurde zurückgetreten?
Die Wahrheit ist konkret (B. Brecht)
Trotzdem gelingt heute noch manche Entdeckung und der Historiker konnte nunmehr aus dem bisher relativ beliebigen Wehrmachtsoffizier eine konkrete historische Person machen, die dem Sozialdemokraten Anker mit sofortiger Erschiessung drohte, weil er am 6. Mai 1945, zwei Tage vor dem endgültigen Kriegsende, die Bürger Meissens zu friedlicher und geordneter Übergabe der Stadt an die Rote Armee aufforderte. Immerhin am nächsten Tag war die Rote Armee bereits in Coswig.
Diese stetige Annäherung an die historische Wahrheit mittels konkreter Fakten und Namen tut in Meissen Not, denn es gibt Stadträte, die vor laufender Kamera (s. Meissen-TV: "Helden und Kleingeister") aus dem Lagerhäftling von Hohenstein zu gern einen roten Diktator, aus dem verfolgten Sozialdemokraten einen Stalinisten machen möchten. So wird der Sozialdemokrat heute von Kleingeistern noch nachträglich dafür "bestraft", dass die DDR ihn auf ihre (und zugegeben, nicht immer besonders pfiffige) Weise ehrte.
Der roter Bürgermeister als "Rettungs-Anker"
Von den Veranstaltern so nicht geplant, aber doch irgendwie folgerichtig kam es in der anschliessenden Diskussion zu teils erregten Stellungnahmen über den Umgang mit besonders aktiven NSDAP-Mitgliedern unmittelbar nach der Befreiung. Eine Teilnehmerin schildert aus eigenem Kindheiterleben den sadistischen Umgang eines NS-Blockwarts mit kriegsgefangen Zwangsarbeitern im Triebischtal - und wie seine Bestrafung von vielen als gerecht empfunden wurde.
"Ich bin der Sohn eines Blockwarts" - meldete sich ein eigens aus Berlin angereister Herr Jauch, um zu schildern, wie zwar sein Vater auch zur Rechenschaft gezogen wurde, Frau und Kind jedoch nach Vorsprache bei Willy Anker im Rathaus durchaus menschlich, angemessen rücksichtsvoll und fair behandelt wurden.
Literaturfest "Von Mittelalter bis Fantasy" - der "verwunschene" Veranstaltungsort Dresdner Str. 13. |
Die Behauptung des früheren Meissner Stadtrats Ulrich Bahrmann für die CDU, Willy Anker sei "der erste Propagandist der folgenden roten Diktatur" gewesen, weswegen man ihm "heute kein Denkmal setzen" könne, hört sich vor diesem Hintergrund doch etwas ideologie-lastig an. Und sie riecht gewaltig nach platter Propaganda, die man eigentlich aus anderen politischen Ecken kennt.
Geschichte berührt uns - an persönlichen Berührungspunkten
Dass die anwesenden Meissner und ihre auswärtigen Gäste vom "namenlosen" Umgang heutiger Stadträte mit Willy Anker (und Herbert Böhme) unangenehm berührt waren, lässt sich denken. Auch ist das letzte Wort dazu noch nicht gesprochen.
Ein gänzlich anderer Berührungspunkt zu unserem Alltagsleben tauchte in einem Nebensatz von Dr. Rösler auf, der sich ebenfalls mit Geschichte beschäftigt: Der durch einen Meissner Strassennamen geehrte Antifaschist Albert Mücke habe nach der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 1945 auch einem tschechischen Gefangenen aus dem zerstörten Gefängnis Mathildenstrasse (Dresden) zur illegalen Heimkehr in die Heimat verholfen. Der einzige mir bekannte Tscheche, dem dieses "Glück im Unglück" passierte, ist der Marionettenspieler Professor Skupa gewesen, der "Vater" von Hurvinek und Špejbl.
Falls er das wirklich gewesen ist (Historiker können das ja noch erforschen), dann verdankt die Welt das Fortbestehen dieses genialen Puppentheaters (auch) einem Meissener. Und das allein wäre schon ein Grund, sich mit Geschichte zu befassen, um etwas daraus zu lernen.
Nachtrag vom 13. Juni 2012
Wie der Stadthistoriker Gerhard Steinecke gestern mitteilte, war unter den in Meissen verborgenen tschechischen Häftlingen nicht Professor Skupa. Wir sind jedoch weit entfernt, das zu bedauern - denn so kann man davon ausgehen, dass der Marionettenspieler andere Helfer fand, um sich nach Pilsen in Sicherheit zu bringen. Auch diese Menschen riskierten nach dem 13. Februar 1945 genau so ihr Leben und verdienen unseren Respekt - wie Willy Anker noch Anfang Mai.
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